Artikel Neue Westfälische vom 25.11.2015
AUTOR
Ansgar Mönter
Aktualisiert am
24.11.2015, 22:30 Uhr
Bielefeld Rückenschmerzen adé: Der Bielefelder mit den heilenden Händen
Es geht vor allem um den Hals: Therapeut Lars Hoffmann wendet die Alexander-Technik bei Christine Koch (75) an. Mit der Methode werden Gewohnheiten verändert. | © Wolfgang Rudolf
Bielefeld. Mit Mitte 20 begannen die Rückenschmerzen. Ein halbes Leben lang hat Christine Koch darunter gelitten – bis sie auf die Alexander-Technik stieß. Das ist elf Jahre her. Seitdem ist sie geheilt. Diese Geschichte ist kein Einzelfall. Das sagt Lars Hoffmann. Er lehrt die Methode seit gut 13 Jahren. Der Therapeut ist sich sicher: Die Alexander-Technik kann sehr vielen Menschen helfen, ihre chronischen Rückenschmerzen dauerhaft loszuwerden. Neuerdings sehen das auch immer mehr Ärzte und Forscher so.
„Wirbelkanalverengung“ lautete die Diagnose für Christine Koch am Anfang ihrer Leidenszeit. „Ich habe alles Mögliche ausprobiert dagegen“, sagt sie. „Oft war es ein paar Tage gut, dann fingen die Schmerzen wieder an.“ Für Alexander-Technik-Lehrer Hoffmann ist das keine Überraschung. Denn die Ursache des Problems bleibt meist unberührt. Und die legt im Hals, „unserem Sinnesorgan für Gefahr“, wie er sagt. Ob reale Gefahren von außen oder konstruierte von innen: Immer reagiere der Mensch auf Gefahr sofort mit dem Hals. „Wir verkürzen ihn“, sagt Hoffmann. Die Folge: Muskelanspannungen, die Gliedmaßen ziehen sich zur Wirbelsäule, der Kopf muss schwer gehalten werden. Das alles strahlt aus auf unseren Körper. Wir konditionieren uns, gewöhnen uns an ungesunden Haltungen, Schmerzen entstehen, meistens im Rücken. „Das ganze Gewicht des Kopfes drückt bei falscher Halshaltung auf die Wirbelsäule“, sagt Lars Hoffmann.
Information
Alexander-Technik
Alexander-Technik lehrt Prinzipien und praktisches Wissen über die menschliche Koordination; Der Unterricht soll dazu befähigen, überflüssige Anstrengungen in nützliche Energie umzuleiten, Anspannung soll zu Aufmerksamkeit, Erschöpfung zu Leichtigkeit werden; Entwickelt wurde sie von dem Australier F. M. Alexander in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts; Alexander-Technik wird weltweit unterrichtet, traditionell in Einzelstunden; Vor allem in Musik- und Theaterkreisen wird sie genutzt.
Die Alexander-Technik will nicht mehr, als diese Fehlhaltung wieder zu verändern, sodass der Kopf locker auf dem Hals sitzt und sich der gesamte Bewegungsapparat entspannt und mit ihm Bewusstheit für gesunde Haltung entstehen. Wird sie zur Gewohnheit, verschwinden die Schmerzen dauerhaft. Hört sich perfekt an, wird aber in der Regel trotzdem nicht von den Krankenkassen übernommen.
„Zurzeit ist Osteopathie hoch angesehen bei der Behandlung“, sagt Detlef Bonnemann von der Bielefelder Rückenschule, einem Zusammenschluss von 21 Orthopäden. Seit 40 Jahren beschäftigt sich Bonnemann mit Rückenleiden. In der Zeit seien immer wieder neue Methoden und Techniken aufgekommen, die auch helfen können, „das Problem ist nur, sie können es nicht beweisen“.
Das ändert sich vielleicht gerade. Zuletzt berichtete sogar das Ärzteblatt von einer Vergleichsstudie, in der die Alexander-Technik ebenso wie die Akupunktur in einer klinischen Studie den konventionellen hausärztlichen Behandlungen bei Nackenschmerzen überlegen war. Die Wirkung sei sogar noch nach einem Jahr nachweisbar gewesen, schreibt das Ärzteblatt, obwohl die Behandlung nach vier oder fünf Monaten abgeschlossen war. Artikel mit ähnlichen Ergebnissen nach Studien sind schon Jahre vorher auch im „British Medical Journal“ nachzulesen gewesen.
Jens Bucksch, Gesundheitswissenschaftler der Uni Bielefeld, hält den Ansatz der Alexander-Technik, vor allem über Haltung und Atmung zu therapieren, für interessant. Nähere Untersuchungen dazu habe es an der Fakultät aber noch nicht gegeben, deswegen seien Aussagen über die Wirkungen nicht möglich.
Lars Hoffmann braucht eigentlich keinen wissenschaftlichen Flankenschutz – auch wenn es sich darüber freut. Er erlebe, sagt er, den Erfolg bei seinen Schülern – so werden die Patienten genannt, weil sie selbst ermächtigt werden, die Methode zu verwenden. Außerdem hat er es am eigenen Leib gespürt. „Mit 22 Jahren habe ich von meinem Orthopäden gesagt bekommen, dass ich wahrscheinlich irgendwann im Rollstuhl sitze, da ich mit Arthroseerscheinungen im Knie üble Schmerzen hatte.“ Mit 30 kamen Rücken- und Nackenschmerzen hinzu, auch Depressionen. „Erst dann war ich bereit so etwas wie Alexander-Technik auszuprobieren und selbst Verantwortung für mein Wohlergehen zu übernehmen.“
Nach den ersten Stunden sei ihm sofort klar geworden, was für ein Potenzial darin stecke. „Heute habe ich nur noch selten Verspannungen oder Schmerzen und wenn, dann weiß ich, wohin damit. Mit 45 habe ich meinen Kite-Surfschein gemacht und habe mehr Freude an Bewegung denn je zuvor.“
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